Frankfurt bleibt erklärungsbedürftig. Niemand mag Frankfurt. Wann immer ich sage, dass ich die Stadt eigentlich cool fand, füge ich hinzu: leider. So von wegen, ich weiß ja, dass man sie nicht mögen darf. Gerade, wenn man wie ich aus Frankfurt (Oder) kommt. Aber warum eigentlich?
Frankfurt, Bahnhof
Als erstes besteht Frankfurt zu 100 Prozent für den Kapitalismus. Ganz viel Reichtum gegen ganz viel Armut. Man denkt: Unmenschlichkeit. In Frankfurt gibt es viele Banken und Versicherungen, viele Menschen laufen in Anzügen rum. Gleichzeitig führt der Weg vom Bahnhof ins Büro durch’s Bahnhofsviertel. Mein Mitbewohner Micha ist jedes Mal beleidigt, wenn ich ihm von meinen meiner Meinung nach schönen Ausflügen dorthin erzähle: »Ich habe dir gesagt, dass das gefährlich ist!«. Ich würde die Gefahr unterschätzen. Möglich. Er erzählt dann immer, dass eine Wohnungsbewerberin dort wohl mal ausgeraubt worden und erst im Krankenhaus ohne Wertsachen wieder aufgewacht sei. Er kenne die Leute.
»Puh, ok« sage ich dann immer und denke gleichzeitig, dass diese locker ausgedachte Geschichte nichts an meiner Zuneigung zum Viertel ändern wird. Was ich mag? Das Echte. Es mag makaber klingen in seiner ganzen Schrecklichkeit, aber: hier leben die Menschen, wie es ihnen passt. Ohne jegliche gesellschaftliche Anpassungsnorm.
Bankfurt
Auf der anderen Seite: Banken und Geld. Ein kurzer Blick in die Geschichte verrät, dass die Metropole am Main jahrhundertelang die Stadt war, in der Könige von überall gekrönt wurden. Dazu wurden teils riesige Zeremonien mit manchmal über 40.000 Besuchern abgehalten. Die wollten natürlich irgendwo Essen, Schlafen und was erleben. Davon profitierten Bordelle und Gasthäuser, was dann wiederum Kaufleute aus ganz Europa anzog. Die ersten Messen entstanden und die Leute kamen nach Frankfurt, um ihre Waren zu verkaufen.
bestes gebäude ezb achtung, witz!
Mit unterschiedlichen Währungen aus den ganzen unterschiedlichen Stadtstaaten. Mainzer Münzen mussten gegen Nürnberger Franken getauscht werden. Um alles etwas gerechter zugehen zu lassen, legte man auf der Messe Wechselkurse fest. Und schwups: die erste Börse war geboren. 1585 gilt heute als offizielles Gründungsjahr der Börse. Danach zog es ganz natürlich immer mehr Banken hierher, Rothschilds, Bethmanns. Und die sind geblieben.
Heute sollen die Wolkenkratzer übrigens einerseits Macht und andererseits Vertrauen ausstrahlen. Well. Works.
deutsch mich nicht voll palmengarten
Frankfurter (Sub)kultur
Gleichzeitig ist Frankfurt aber nicht nur so kapitalistisch kalt und seelenlos, wie ich es mir eigentlich vorgestellt hatte. Das liegt nicht an den ersten Hitzewellen des Monats Mai (Achtung, Witz!), sondern vielmehr daran, dass es in Frankfurt eine offensichtliche, spürbare Subkultur gibt. Eine Szene. Etwas, dass dem ganzen Banken- und Versicherungswesen entgegen strotzt. Sei es ein besetzter Bauwagenplatz neben der EZB, die süßen Cafés und hippen Bars in Sachsenhausen oder die grünen Öko-Studi-Viertel im Norden. Genau das, was ich in Hamburg vermisst habe und in Leipzig ’n bissl übertrieben fand.
Und auch die Clubszene, so hört man, soll wohl ziemlich gut sein, was mich als Wahlberlinerin nochmal extra aufhorchen lässt. Klar: eine Stadt voller Drogen denkt sich höchstwahrscheinlich auch passende Technopartys aus.
Mainhattan
Was ich noch an Frankfurt mag, ist sein internationaler Touch. Der Grund, warum ich hier unbedingt hin wollte ist, dass die Stadt vom Zug aus nicht so klassisch kartoffelig aussieht, wie (fast alle) anderen deutschen Städte mit seinen Kopfsteinpflaster-Fußgängerzonen und dem Woolworth in der wieder aufgebauten Innenstadt. Ich fühle mich hier eher wie in New York – hoch, schnell, weit. Man hört alle Sprachen, streckt immer wieder den Hals und muss aufpassen, dass man nicht von wichtigen Menschen umgenietet wird.
Und doch kann man in der 750.000-Einwohner-Stadt alles relativ bequem zu Fuß erreichen. Ich bin weder erschlagen noch verloren. Die Häuser sind hoch, aber gleichzeitig sehe ich noch den Himmel. Sie sind nicht dicht gedrängt, als würde ich die komplett zugeballerten Straßen Manhattans ablaufen, aber auch nicht vereinzelt und ein bisschen lächerlich, wie die paar Stelzen am Potsdamer Platz in Berlin.
hach macht und sicherheit? deutscher central park
Frankfurt sollte übrigens nach dem Zweiten Weltkrieg auch eigentlich mal Hauptstadt werden. Die Stadt hatte mit seinem ganzen Bankwesen das meiste Geld für den Wiederaufbau, was dann auch gut funktionierte. Nur Adenauer, der alte Heimscheißer, hat dann als vorher Kölner Oberbürgermeister und dann erster Kanzler Bonn durchgesetzt.
~~~ sTadT dEr gEgeNsÄtZe ~~~~
Stadt der Gegensätze. Leider finde ich wirklich keine treffendere Formulierung als diese in jedem Lonely Planet verwendete nullachtfuffzehn-Phrase. Aber in Frankfurt spüre ich wie bisher nirgendwo sonst, wie sich die alten Jugendstilbauten Sachsenhausens den gläsernen Fassaden des Bankenviertels gegenüberstellen. Wie der seit einem Jahr von linken Aktivist:innen besetzte Bauwagenplatz das 100-Meter-Luftlinie entfernte Hochsicherheitsareal der EZB ärgert. Wie Drogenabhängige die Banker:innen um Geld fragen, wenn letztere ihr Mittag im Viertel der Junkies verspeisen.
Am Ende war Frankfurt die Stadt, die mich bisher am meisten überrascht hat. Frankfurt hat Subkultur und Hochkultur. Es gibt winziges Fachwerk und das höchste Wohnhaus der Welt. Sushi und Indisch wohnt direkt neben Kartoffeln und Grüne Soße. Und: Frankfurt ist cool. Frankfurt ist international. Frankfurt hat wirklich was zu bieten. Leider.
[…] komme in meiner neuen Wohnung in Frankfurt an. Auf die Stadt habe ich mega Lust. Endlich wieder Großstadt. Nach zwei Monaten […]
Aber würde man in Frankfurt wirklich auf Dauer leben wollen, wenn man die freie Wahl hätte?
Im Bauwagen gegenüber der EZB mag es für kurze Zeit „spannend“ sein… Aber ohne Joints und wenn man dann doch mal erwachsen wird… Sicher kein Ort zum leben…
Die „schönen“ (aber langweiligen?) Wohnmöglichkeiten sind hingegen so exorbitant teuer, dass sie für den Durchschnittsverdiener nicht mehr zu finanzieren sind :(.
Wenn Großstädte zu groß werden… Wie Frankfurt…
Ist das genauso schlimm wie zu kleine Kleinstädte…
Ich habe mal gehört, dass es im Westen Deutschlands eine Ansammlung von mittelgroßen Großstädten geben soll… Groß genug um nicht langweilig zu sein… Aber überschaubar genug um nicht zu groß zu sein… Mit Wohnungen die sich finanzieren lassen, erreichbare Natur im Umland und einem hervorragendem Kulturangebot…
Wo war das noch gleich…? *grübel*