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Savoir-vivre oder wie ich in Saarbrücken mit Fremden Bier trinke

»Hey, ähm, darf ich mir eine drehen?«

Mit dieser einfachen aber doch effektiven Eisbrecher-Frage fangen ja bekanntlich die besten Bekanntschaften an. Ein ehemaliger Kommilitone meines einst in höchsten Erwartungen begonnen Studiengangs der Theater»wissenschaften« meinte sogar mal, dass das sein Number One Anmachspruch war. Theaterwissenschaftler rauchen alle. Immer und überall. Rauchen verbindet. Deswegen fängt man an. Was noch verbindet? Das Saarland.

Und obwohl ich vor mittlerweile den Fängen meiner peinlichen Nikotinsucht entkommen bin, gesellt sich eben doch alle eins-, zwei Monate mal die ein oder andere Zigarette zu meinem Bier. Am nächsten Tag bin ich dann immer unglaublich reuevoll. Heute nicht: ich habe Nina und Boris kennen gelernt. Die beide sind in ihren 50ern und leben in Saarbrücken. Seit immer.

Boris ist ein ehemaliger Hippie, raucht permanent Joint. Nina zeichnet sich vor allen Dingen durch ihren Lippenstift aus: »ich lieb’ halt Lippenstift was soll ich machen?« raunt sie in einer ähnlichen Stimmlage wie ihre Namensvetterin Nina Hagen.

Heimspiel für alle

Wir lernen uns im Zing kennen. Eigentlich wollte ich ja nur eins, zwei Bier trinken, Kreuzworträtseln und Katapult lesen. Aber niemand geht einer Bekanntschaft mit Einheimischen aus dem Weg, schon gar nicht im Saarland – niemals!

Also reden wir: über’s Saarland, klar. Über das Französische im Saarland (aber niemand spricht die Sprache), über’s Bier und über, ja das glauben Sie jetzt nicht, die Computerlinguistik. Das Fach, was ich sonst immer erklären muss hat Nina auch mal zwei Semester studiert. Sie war damals, vor 25 Jahren, im ersten Studiengang überhaupt. Was viele, was sage ich, niemand weiß (und ebenso Wenige interessiert): meine Fach, mein Herzblut, mein Job und das, wofür ich brenne, kommt nämlich eigentlich aus Saarbrücken. Hier gab’s den ersten CL-Studiengang und auch das DFKI, das deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, wurde hier gegründet. Heimspiel. Oder so. Und nun treffe ich doch tatsächlich eine Frau, die im ersten Studiengang mit dabei war. »Hätte ich dis mal zu Ende gemacht«, wird sie nun sagen.

Natürlich verstehe wir uns sofort super. Es hat schon seine Vorteile, so ein Digital Nomad zu sein. die Leute finden das eigentlich immer interessant. Ich habe ja auch viel zu erzählen. Und so erzähle ich. Und sie.

Was mich noch interessiert: die Kiezkultur. Die Kneipen. Und, wie soll es anders sein, sie kennen natürlich die beste Kiezkneipe. Beim Frank. Alle fragen immer, warum es denn »Nilles« heißt. Aber das ist nun mal sein Nachname.

Das Nilles ist eine Institution. Man kennt sich da und Fremde werden sofort aufgenommen. »Selbst, wenn du hier alleine hingehst, hast du nach einer halben Stunde tausend neue Freunde«, verspricht mir Nina.

nina mit den boys

Bier trinken im Nilles

»Und warum auch nicht« denke ich mir und gehe mit. Ins Nilles. Das mit dem »alleine hingehen« kann ich somit galant überspringen. Nina, die mich aus mir unerfindlichen Gründen direkt ganz tief in ihr herz geschlossen hat, stellt mich jeder einzelnen der ungefähr 30 Personen, die auf dem Bürgersteig vorm Nilles stehen, vor. Das Nilles erinnert ich von außen an eine Altberliner Eckkneipe. So wie ich sie auch in meinen Berliner Jahren zu besuchen liebte. Von außen ist es einfach nur zwei Parklücken und ein Bürgersteig. Ein Trottoir, wie man im Saarland sagt.

Die Joints gehen rum, auch Nina nimmt hier und da mal einen Zug. Bier, Schnaps, feucht fröhlich läuft der Abend. Auch ihr Sohn ist da, der Rafael.Nina und er verstehen sich prächtig. Ich muss mich sehr oft daran erinnern, dass andere Menschen anders sind. Ich kenne das nicht, dass Mutter und Sohn zusammen in, äh, vor der gleichen Kneipe abhängen, zusammen kiffen und Schnaps trinken und einfach Spaß haben. Wie geht das? Alle Freunde von Rafael mögen Nina und Nina mag sie. Ich wusste bisher nicht, dass sowas möglich ist. Ich dachte, Mütter sind immer peinlich bei egal was. aber Rafael zeigt mir, dass man Mütter gar nicht peinlich finden muss. Verrückte Sache.

Schlussendlich lerne ich dann auch den Star des Abends kennen: Frank Nilles gehört die Kneipe und er gibt alles, um mich auf eine kulinarische Reise zu all den unterschiedlichen Biersorten des Saarlandes zu schicken. Wir verstehen uns sofort super. Er wurde in Berlin Steglitz geboren, wodurch wir prompt eine Ebene haben. »Das wusste selbst ich noch nicht«, sagt Nina.

saarbrooklyn

Fünf letzte Biere

Immer wieder kommt die Frage auf, warum ich denn jetzt gerade in Saarbrücken bin. Die Frage kenne ich schon aus Trier und Passau, Städten mit ähnlicher Größe: warum wolltest du denn hier hin? Aber ich find’s klasse – auch wenn ich vom Saarländer Platt den ganzen Abend über nur die Hälfte verstehe.

Über was wir den Rest der fünf Stunden Bier-trinken-und-rumstehen reden, weiß ich nicht. jedenfalls gibt es keine Grundsatzdiskussionen. Die Stimmung ist toll, wir sind alle super drauf und lachen viel. Über was auch immer. Nach dem ich an einem Punkte mein viertes »jetzt aber wirklich das letzte«-Bier ausgetrunken habe, schaffe ich den Absprung. Ich staube einen Bierdeckel mit Handynummer ab und gehe zwei Minuten bis nach Hause.

Wow, denke ich. so kann’s auch laufen. Einfach mal Leute kennen lernen. Adoptiert werden, wie Nina sagt. Wann ist mir das zum letzten Mal passiert?

gruppenfoto mit barbesitzer frank
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