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Das ganz besondere Saarland

»Und?« fragt die Mutter meiner Mitbewohnerin Cathérine aka. Cat, als ich ihr gegenüber am Gartentisch im verwilderten Garten des Bauernhauses Platz genommen habe. »Wie gefällt es dir hier im Saarland?«. Wahrscheinlich hat sie eher »Wie fälldsch tia im Saalann?« gefragt. Meine Antwort bleibt trotzdem die gleiche. »Gut« sage ich genau so wenig überschwänglich wie ich’s meine. Kommt aber nicht an: »Jaaaa! Isch scho’ was kanz p’sondres, net wah?«

Ok. Durchatmen. Hier versucht mir also wieder ein Mensch seine zufällige Heimat als andersartig zu verkaufen. Das kennen wir ja bereits. »Was ganz besonderes«. Was ist denn »was ganz besonderes«? Der Geschmack in meinem Mund, wenn ich am Vorabend zehn Bier getrunken habe, ist vielleicht was ganz besonderes. Oder das Geräusch wenn eine Frau mittleren Alters nach dem dritten Prosecco auf der Spreerundfahrt einen Witz erzählt bekommt und dann die nächsten fünf Minuten ihr Mitmenschen mit ihrer brüllend-kreischenden Lache beglückt. Das ist was ganz besonderes. Aber das Saarland? Muss ich mal nachdenken.

Lyonerworschd und Dibbelabbes

Was ist also besonders, was hebt ab? Während ich mich für meine unbedeutende Heimatstadt immer fein mit dem unbedeutenden Kleist brüste, kriege ich aus meinem Passauer Mitbewohner Flo eigentlich keinen Satz über seine Heimat ohne den Nachschub »aber das ist eigentlich total albern« heraus. Womit er vielleicht im Fall von »Lyonerworschd & Dibbelabbes« auch Recht hat. Ein Lied. Aber nicht wirklich ein Lied.

Sie mögen nun eventuell über den wabbelig-heiteren Begriff »Dibbelabbes« gestolpert sein. Zu Recht. Denn wenn man nicht im Südwesten Deutschlands aufgewachsen ist, ist doch die Wahrscheinlichkeit recht hoch, dass einem dieses eigenartige Wort wohl noch nie unter’s Trittbrett geraten ist. Hier ein kleines 1×1 zur Küchenkunde des Bundeslandes mit den meisten Michelin-Sternen pro Einwohner:in.

Fangen wir an mit den groben Inhaltsstoffen: Fleisch. Kartoffeln. Fett. Wer an dieser Stelle neue Gerichte für eine ausgewogene vegetarische Ernährung mit all den verschiedenen super tollen Inhaltsstoffen erwartet, den muss ich leider enttäuschen. Wir sind, wenn auch nah an der französischen Grenze, immer noch in Deutschland. Das hat den Arbeitern in den Eisenminen früher geholfen, fit und bei Kräften zu bleiben. Dibbelabbes, das ist Dörrfleisch mit Ei, Lauch und Kartoffeln. Eine weitere Spezialität, Geheirade, ist kurz gesagt die Inkarnation von Kilokalorien in einem Gericht: Kartoffeln und Mehlklöße werden in einer Speck-Zwiebel-Sahne-soße *verheiratet*. Dazu gibt’s Endiviensalat und Apfelmus. Ach ja. Und dann gibt’s noch den Schwenker.

das ist typisch saarland, sagen saarländer

Was kanz p’sondres

Was am Saarland noch ganz p’sondres ist die Namensgebung der Städte. Man kann ja immer so ein bisschen Bundesländer-Raten spielen. Alles was auf –ingen endet? Tübingen, Reutlingen, Schwabingen – einmal mit dem Zug von Stuttgart in den Süden. Die Endung –roda? Sachsen und Thüringen, klar. Und –ow wie in Lossow, Kliestow und Suckow? Das ruft nach Ostbrandenburg und MV. Das ganz p’sondre Saarland hebt sich nun als erstes schonmal dadurch ab, dass hier das verbindende Element nicht die Endungen, sondern die Vorsilben sind. Und die sind, wie soll es anders sein, der einzig wahre Fluss: Saarlouis, Saarbrücken, Saarwellingen. Sie glauben, das ist der einzige Fluss? Richtig! Aber es gibt noch ein Rinnsal, die Blies, wie in Blieskastel, Bliesmengen und Bliesransbach. Nur Saarburg und Saargemünd liegen irgendwie außerhalb der Grenzen. Wie auch immer die da so abhanden gekommen sind.

so sieht saarburg aus (nicht im saarland)

Apropos Grenzen. Ganz p’sonders ist am Saarland auch die unmittelbare Nähe zum besten Nachbarland Frankreich. Es ist so nah, dass Cat zu ihren Eltern immer da durchfährt. Und dass ich nach Paris nichtmal zwei Stunden brauche. Frühstück im Montmartre.

Typisch Grenzregion hat das Saarland natürlich auch mal komplett zu Frankreich gehört. Noch heute spürt man die Schwingungen: das Leben auf den Straßen, laissez-faire und savoir-vivre sag’ ich da. Cat hat früher immer die französischen Jungs auf der Grenzbrücke getroffen. »Wir haben aber eigentlich immer Deutsch geredet« – obwohl ihr Papa mit ihr nur Französisch schwätzt. Nach dem Krieg war das Saarland dann übrigens sogar mal unabhängig, trat, ziemlich besonders, mit einer eigenen Mannschaft bei den Olympischen Spielen an und verlor im Jubeljahr ’54 gegen den Bundesrepublik bei der Fußball-WM. Ausgerechnet.

mit dem fahrrad durch frankreich

Zuhause wo’s am schönsten ist

Was so viele Staatenwechsel mit einem machen? Man bleibt Zuhause. Festhalten, woran es geht. »Die Saarländer, so sagt man, sind eben doch ziemlich heimatbezogen.« sagt ein Wahlberliner, den ich hier auf seinem Heimatbesuch im schönen Café Schrill kennen lerne. »Als ich schon zehn Jahre in Berlin war, hat die eine von den Grünen mich angerufen und gefragt, ob ich nicht wieder zurück kommen wollte – und die konnte das gar nicht verstehen, dass das nicht mein allergrößter Traum ist.«

Die Zahlen sprechen für sich: das Saarland hat trotz seiner Größe die höchste Pkw-Dichte – hier pendelt man. Dass somit jede Familie mindestens zwei Autos besitzt, ist logisch. Außerdem gibt es im Saarland die höchste Zahl von Immobilienbesitz. Wo der Rest der Republik eigentlich dafür bekannt ist, lieber zu Miete zu wohnen, lässt man sich im Saarland nieder, viele Häuser sind schon seit Ewigkeiten im Familienbesitz. Der Traum einer jeden Saarländerin und Saarländers: ein Eigenheim und drum herum keine Menschen, sagt der Wahlberliner. Kommt man aus dem Saarland, bleibt man im Saarland. Oder kommt zumindest zurück.

Und am Wochenende in die Pfalz

»Na dann viel Spaß bei meinen Erzfeinden« schreibt Saarland-Hannes, als ich ihm stolz von meinen Wochenendplänen erzähle. Regionale Rivalitäten. Niemand bleibt verschont. Und trotzdem kann ich natürlich nicht vom selbsternannten »Mittelpunkt Europas« berichten, ohne von der ganz p’sondren 5-Sterne-Urlaubs-Umgebung zu erzählen.

So fahre ich also an einem Wochenende nach Trier, um Cenin zu sehen und Wein zu trinken. Immer am Fluss lang radelt sich das auch gut weg. Am nächsten Wochenende fahre ich in die Pfalz, um Nele zu sehen. Ich lerne: der Pfälzer Wald ist das größte zusammenhängende Waldstück Deutschlands, dass man Kaiserslautern nicht besuchen muss und, guess what, viel. Über. Wein. Am dritten Wochenende, und bevor ich mich endgültig zum Urlaub nach Paris absetze, fahren wir kurz mal über die Grenze und campen an einem französischen Weiher. Natur. Frankreich. Toll.

Das unterschätzte Bundesland?!

Das Saarland muss man nicht gesehen haben und trotzdem kann man auf jeden Fall mal hin. Es ist genau so, wie die Regionen drum herum und gleichzeitig, ja, bitte: was ganz p’sondres. Die Lage ist top, die Natur ist schön, das Essen ist großartig. Hat es deshalb einen bleibenden Eindruck hinterlassen? Nö.

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