Berlin. Zuhause. Wieder da. Hat sich was geändert? Nö. Doch. Ich. Oder auch nicht. Ein Vorab-Resümee zum Zwölfmaldeutschland-Resümee. Und zu meiner Studienzeit in der Hauptstadt.
Der nächste Morgen
In Berlin komme ich wie fast immer in meiner alten WG an. Maisonette-Wohnung, Kreuzberg, Bergmannkiez. Besser geht eigentlich gar nicht. In die Wohnung bin ich 2016 mit Saskia, Linus und Oli, den ich aus mir unerfindlichen Gründen immer noch mit einem „L“ schreibe, aber trotzdem mit Doppel-„L“ ausspreche, eingezogen. Linus und Oli wohnen immer noch hier. Mein Zimmer hat mittlerweile die großartige Maja, in Saskias Zimmer wohnt Tom aus England. Und ich wohne im August oben auf der Couch. Ein Monat ohne Privatsphäre und viel Bier.
»Ich bin wieder zurück« sage ich am nächsten Morgen in die Runde, als ich verkatert am Frühstückstisch liege. Halb Spaß, halb Ernst. Weil ich weiß, dass die Anderen das mögen, wenn man das Leben nicht ganz so ernst nimmt. Und das ist ein furchtbarer Euphemismus für »Freitag und Samstag nicht vor 3 Uhr morgens oder 10 Bier ins Bett gehen«. In den letzten Jahren habe ich an dieser Stelle ziemlich… »abgebaut« wie Linus sagen würde.
Dass ein exzessives Kneipenleben nicht die Norm für alle Studis ist, wird mir zum ersten Mal während meines Erasmus-Semesters bewusst. Ausgerechnet hier. Wo’s doch eigentlich so dafür bekannt ist, ein halbes Jahr Party zu bedeuten.
Doch hier treffe ich zum ersten Mal auf Studierende aus anderen Städten in und auch außerhalb Deutschlands, die eben nicht schon vorher Teil meines trinkfreudigen Freundeskreises waren. Und merke: andere Studis haben auch viel freie Zeit. Und füllen die irgendwie… sinnvoller – ein Wort für das mir Linus jetzt gnadenlos einen drauf geben würde. Aber gottseidank liest er diesen Blog nicht.
Das Studierenden-Leben: Berlin-Edition
Aber Berlin? Nein Berlin ist keine Studentenstadt. Berlin ist eine Partystadt. Und alle wissen das. Früher dachte ich immer: Studentenstadt – das heißt viel Gefeiere, unangenehme Partys mit Fremden und man spricht über seine Fakultät. Nach Zwölfmaldeutschland weiß ich: Studentenstadt, das heißt sowas wie Tübingen: viele junge Leute, die etwas bewegen wollen. Die Ideen haben. Anpacken. Und die die Stadt nach vorne bringen.
Na ja. Und während ich also meine sechs Jahre Bachelor mit Programmieren, Clubs und Bier fülle, verbringt Tübingen-Ludwig seine Zeit mit, ja, auch Programmieren und Bier. Aber statt sich Freitag bis Sonntag im Club das noch in der Entwicklung steckende Hirn zu versaubeuteln, ist Ludwig im Skiclub aktiv, fährt Stocherkahn und geht wandern. Was kann ich? Passabel tanzen. Was kann Ludwig? Einen Lawinenlagebericht lesen. Bereue ich’s?
Kennen Sie Fomo?
Die Frage stellt sich nicht. Ist passiert. Wir alle werden älter (außer Linus deep in his heart). Was falsch ist, denn gefühlt altere ich in der Geschwindigkeit eines Highspeed-Zuges von Peking nach Hongkong (bitte recherchieren, wenn unbekannt, die Dinger sind insane) und meine Berliner Peer-Group macht irgendwie immer noch jeden Freitag und Samstag das Gleiche wie zu Beginn des Studiums. Aber woran liegt das?
Punkt Nummer eins: die Großstadt fördert Fomo. Fomo, liebe Generation 40+, die von diesem Wort noch nie gehört hat, ist die sogenannt »Fear-of-Missing-Out«, die Angst, etwas zu verpassen. Und ja, es gibt dafür ein extra Wort. Fomo gibt es auch in kleinen Städten. Das sieht dann so aus: es gibt eine Party und alle gehen hin. In großen Städten gibt es hundert Parties. Und da sollten an einem Abend schon mindestens drei drin sein.
Kampf der Kämpfe
Punkt Nummer zwei: die Großstadt ist Kampf. Und damit meine ich nicht nur den sozialen Aufstiegskampf, der hier täglich ausgefochten wird oder den allgemein bekannten Straßenkampf. In der Großstadt muss man sich behaupten. Will man irgendwo dazugehören (oder sich abgrenzen), reicht es nicht nur, einfach mal hinzugehen und ein bisschen was zu versuchen. Da musst du dich einklemmen. Reinhängen. Großstadt heißt immer auch Überangebot. Und so heißt es für Freundesgruppen und Special-Interest-Vereine: es gibt zu viele Menschen, die mitmachen wollen. Während die Jonathans in Tübingen froh über jedes neue Mitglied der Effective-Altruism-Ortsgruppe sind, gehören in Berlin nur die Engagiertesten dazu.
Ebenso verhält sich das auch mit Freunden und Freundeskreisen: will man zum harten Kern gehören, ist Einsatz gefragt: nur einen von zwei Wochenendabenden dabei sein? Möhp. Schon um 12 nach Hause gehen, weil man am nächsten Tag fit sein will? Möhp. You gotta be in.
Leider geil
Punkt Nummer drei: Großstadt ist leider auch einfach geil. Nirgendwo hatte ich so gute Clubabende, wie in Berlin. Mein Freund Jacob hat es mal so schön gesagt: »Ich hab’s ja immer wieder mal versucht, woanders feiern zu gehen. Aber es ist einfach immer schlecht.« Die Kneipen sind ebenso zahlreich, wie billig, wie gut. Von coolen Hipstern mit zerbrechlichem Herzen, über durchgedrehte Drag-Queen-Ikonen, bis hin zu Kneipen-Urgesteinen und Techno-Opa – es gibt schlicht und ergreifend etliche mehr als interessante Menschen in Berlin. Die man natürlich früher oder später alle mal kennen lernen muss.
Ganz genau deswegen bereue ich auch meine sechs Berlin-Jahre, an die ich bei jedem Besuch immer wieder erinnert werde, überhaupt nicht. Ich habe Dinge gesehen, Menschen kennen gelernt und Sachen probiert, die, na ja. Sagen wir: ich bin mit allen Wassern gewaschen. Berlin frisst dich auf, kaut dich durch und spuckt dich wieder aus. Aber dann kann dich so schnell nichts mehr erschüttern.
Und nur um es mal festzuhalten: Berlin hat manchmal auch andere Dinge als Party und Bier zu bieten. Theater ist einmalig, Kinos sind perfekt, Parks sind großartig, nichts geht über das Tempelhofer Feld und Essen gehen kann man toll und extrem billig. Nur mal so nebenbei. Und dann ist es noch extrem cool. Ok? Ja? Gut.
Good to be back
Und nun bin ich also »wieder zurück«. Linus sagt, ich war »nie wirklich weg«. Gemeint ist damit nicht meine physische Anwesenheit, sondern meine, ja das heißt so, »Bierperformance«. Ist doch ok, sage ich mir mittlerweile. Denn eines habe ich gelernt: am nächsten Morgen immer und immer wieder das letzte Bier zu bereuen, bringt ja auch nichts, wenn man’s beim nächsten Mal trotzdem wieder trinkt. Was hingegen was bringt: eine Kopfschmerztablette und ein fettiges Frühstück.