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Leipzig – too hip and too square

Berlin ist tot. Hamburg geht es sehr, sehr schlecht. Doch Leipzig dichtet jede Woche einen neuen Hype auf seine Straßen.

So oder so ähnlich raunt es des nachts auf Instagram-Nachrichteneingängen zwischen komisch fokussierten Bildern und dreifach ironischen Posts. »Hypezig« ist in den letzten Jahren zum »neuen Berlin« geworden. Na ja, oder jedenfalls: sollte werden, so oft, wie es beschrien wurde. Doch Leipzig ist nicht das neue Berlin. Und ich fühle mich von Richard Gaschs Anranzer verstanden, als er schreibt, dass es auch niemals das neue Berlin werden wird.

Doch vorher einen Geschichtsabriss in Stichworten. Der ist nämlich erstens interessant und zweitens voll wichtig.

  • Musik: 1212 wird der Thomanerchor, den später auch mal Johann Sebastian Bach leitet, ins Leben gerufen,
  • 1409 wird in Leipzig die drittälteste Universität Deutschlands gegründet,
  • Leipziger Disputation 1529: Luther bricht endgültig mit der römisch-katholischen Kirche,
  • 1813 findet hier drei Tage lang die entscheidende Völkerschlacht der Befreiungskriege unter Napoleon statt (und heute erinnert ein extrem großes Denkmal, das »Völki« dran),
  • Musik: Felix Mendelssohn Bartholdy gründet die erste Musikhochschule 1843,
  • 1879 wird das Reichsgerichtsgebäude fertig gestellt, das dann erst dem Reichsgericht (äquivalent zum heutigen Bundesgerichtshof) des Kaiserreichs und heute dem Bundesverwaltungsgericht dient,
  • Leipzig ist internationales Handelszentrum der Pelzwirtschaft bis ins 19. Jh,
  • und ab dem 19. Jh wird es zum Zentrum für das deutsche Buch- und Verlagswesen,
  • schlussendlich: 1989 findet hier die allererste Monatsdemonstration statt, die sich von hier über die ganze DDR verbreiten und die friedliche Revolution fordern.

Als ob ich was von Stadtentwicklung verstehe

Es war vor fünf Jahren, als ich mich mit einem Stadtplaner über dieses Nest im West-Osten unterhielt. Das war für mich augenöffnend, denn anscheinend würde Leipzig wirklich die gleichen Entwicklungsprozesse wie die Hauptstadt durchmachen: bewegte Geschichte, billige Mieten, Ostmentalität. Billige Mieten seien erstmal immer eine gute Ausgangslage für eine spätere Ansiedlung von interessanten Menschen. Klassisches Prinzip: erst kommen Migrant*innen, dann Künstler*innen und dann Studis. Wenn Stufe drei erreicht ist, höre es wieder auf, interessant zu sein. In Berlin habe das so gut wie jeder Stadtteil durch. Oder sei gerade noch dabei (all eyes on you, #Wedding).

In Leipzig sei das so ungefähr mit der ganzen Stadt passiert, nur wurden hier Migrant*innen und Künstler*innen ausgelassen. Die seien nämlich entweder gar nicht in Sachsen (Migrant*innen) oder nebenan in Dresden (Künstler*innen). Zu Recht, sage ich! Zu was? Ja, zu Recht! Dresden ist das schönere Leipzig, meine Meinung. Es ist das Leipzig, das nicht versucht, etwas zu sein. Es ist einfach.

Das Ding mit der Authentizität

Die Dresdener Neustadt zu Beispiel. Sie glänzt mit nicht renovierten Altbaufassaden, Spätis und veganen Dönerbuden, die so aussehen, als seien sie hier schon zu DDR-Zeiten vegane Dönerbuden gewesen. Trotz kalter Novembernacht sehen wir junge Menschen und die meisten tragen nichtmal Hipster-Uniform. Gleichzeitig finden sich in der Neustadt spirituelle Krims-Krams-Läden neben KFZ-Werkstätten neben Zauberkünstlern.

Leipzig hingegen, na ja, hat das nicht. Das heißt, es gibt schon spirituelle Krims-Krams-Läden. Es gibt auch KFZ-Werkstätten. Und nach einigem Suchen würde man wahrscheinlich auch irgendwo eine Zauberkünstlerin finden. Das Problem ist aber, dass das alles so unglaublich gewollt aussieht. Ich habe nicht das Gefühl, dass hier irgendein Laden »reingewachsen« ist, wie man so schön sagt. Dass sich irgendeine Steffi dachte »Ich hab ‘ne geile Idee: ein Laden, der nur Kartoffelprodukte verkauft«. Viel mehr sind diese Läden hier, weil die Besitzer*innen wussten, wie edgy die Leute mit den hochgezogenen, weißen Socken das »Kartoffelfräulein« wohl finden werden. Weil sie selbst hochgezogene, weiße Socken tragen. Ich finde das fake. Es fehlt, ich sag’s jetzt einfach, die Authentizität.

Leipzig und die Ausländer

Ich laufe durch mein Lindenau die große, alternative Karl-Heine-Straße hoch und runter und hole ich mir einen Cappucino in einer kleinen, hippen Bar. Sie sieht aus wie jede Bar in Berlin: schwarze Wände, freihängende Industrieleuchten, wortspielreiche Namen für Kuchen und Getränke. Ich laufe an einem Späti vorbei, einer »Kaffee-Manufaktur« und einem Reisebüro. Später: einem Konsum in einer Lagerhalle, einem Bart-Friseur aka. Barber-Shop und einem Döner-Imbiss, ‘tschuldigung, einer Hummus-Bar. Ich fühle mich sehr doll nicht fremd.

Auch die ausgelassene Feier-, Party- und Drogenkultur mit unverkennbaren Europaletten-Bartresen-, Diskokugel-Bäumen-, Lichterketten- und Rock-Strumpfhose-Wollsocken-Turnschuhe-Style haben die knappe Stunde Bahnfahrt von Berlin geschafft. Leipzig, so denke ich oft, hat sich vielleicht ein bisschen zu viel von Berlin abgeguckt und dadurch verpasst, seinen eigenen Stil zu finden. Hier gibt es abgeranzte Bars ohne abgeranzte Gegend. Der beste Döner kommt von der weißen, heterosexuellen »Karli«. Das ist die Einkaufs- und Barstraße, die schon vor vier Jahren out war und die mit dem besten Döner überhaupt nichts zu tun haben sollte (Shahia trotzdem richtig gut!). Aber vielleicht ist das ja auch das neue »neu«: viel zu offensichtliche Geheimtipps. Einfach warten, bis auch zum allerletzten Lonely Planet vorgedrungen ist, dass es das beste Essen weder auf einer großen Straße noch bei Deutsch-Muttersprachler*innen gibt (»hAt SiE nIcH GeSagT!!!!«), um dann die geilen Läden zu besuchen, die übrig geblieben sind.

Und weil wir gerade dabei sind. Mit Ausländern, also dem spannenden Teil einer Stadt, hat Leipzig schon gleich gar nichts am Hut. Mir fällt es erst gar nicht auf, doch dann wie Schuppen von den Augen: die einzigen Anlässe, in denen mir mutmaßlich Nicht-Deutsche begegnen sind in kleinen, isolierten, ja fast inselartig angesiedelten Restaurants und Imbisse. Die Wenigen, die ausnahmsweise keine Kette sind. Wie Shahia zum Beispiel. Und dann frage ich mich, was sie dort zu suchen haben oder wie sie da hingekommen sind.

»Was hast du gegen mein Leipzig???« höre ich sie rufen. »War ja auch Lockdown!« sagen sie. Jupp. Aber nee, Menschen mit Kopftuch sehe ich einzig und allein in der komplett von Touris überschwemmten Altstadt. Jugendliche mit Brustbeutel, die Kiezdeutsch reden, sehe ich gar nicht. Laut Google hat Leipzig einen Ausländeranteil von knapp 10%. Das ist mehr als die meisten Städte im Osten. Aber immer noch ein Witz im Vergleich zu Westdeutschland oder Berlin.

Der überwiegende Teil von Leipzigs Bevölkerung ist entweder ein links-alternativer Studi mit Hochwasser-Hose und Fahrrad, der Hotel Matze hört, sich gern psychoanalysiert und für jede Ungerechtigkeit eine ziemlich realitätsferne Lösung hat. Oder aber eine schon immer in Leipzig lebende Person, verbittert, schlecht gelaunt, schlecht frisiert, noch schlechterer Dialekt. Die dich zu Recht böse angucken, weil sie immer noch sauer sind, dass ihre Firma nach der Wende an die Treuhand verkauft wurde. Enttäuscht, dass der Freistaat Sachsen nicht mehr so die krasse Bedeutung hat. Und die auch ein bisschen wütend sind, dass es doch nur das Bundesverwaltungsgericht geworden ist und nicht irgendwas cooles.

das bundesverwaltungsgericht (gähn)

Too hip and too square

Trend ist immer kacke und Leipzig trieft vor »Ich bin alternativ«-Bekundungen mehr als jeder schlechte Döner, den ich nicht bei Shahia gegessen habe. Noch schlimmer ist Trend aber, wenn er auferlegt wird und sich Gräben zwischen den Trendenden und, wie sage ich das richtig, der Heimatbevölkerung auftun. Diese Bars, Foodtrucks und ganze Zeug sind cool und machen Spaß. Ich trage auch gerne hochgezogene, weiße Socken und liebe nichts mehr, als in einem gemütlichen Café einen geilen, witzig benannten Kuchen zu inhalieren. Nur passiert hier leider nichts im Einklang mit den Leipziger*innen. Die denken sich nämlich: schon wieder kommen irgendwelche Idioten in die Stadt und versuchen, hier alles besser zu machen, obwohl die letzten Idioten gerade erst gegangen sind. Alles wird teurer, alles wird anders. Da gehen bei Wendeverlierern die Alarmglocken los und nachts wird vom Treuhand-Verkauf geträumt. Wär ich konservativ, würde mir das auch Angst machen.

mein lindenau

Leipzig will auf der einen Seite cool und international sein. Und ist auf der anderen: noch ganz schön national.

Lichtblick

Schön anzusehen ist die Stadt schon. Es gibt richtig viel Wasser und richtig viel grün. Leipzig bezeichnet sich selbst als »Wasserstadt«, was ich in Anbetracht der extrem vielen Kanäle, Teiche und Badeseen (Stichwort Tagebau) ausnahmsweise mal nicht daneben finde. Das Elbsandsteingebirge ist zwei Stunden weg und voll schön für einen Tagesausflug. Aber welche bessere Stadt ist natürlich näher daran dran? Sie ahnen es. Dresden.

Ein Kommentar

  1. Luise Luise

    Habe das akute Gefühl, Leipzig in Schutz nehmen zu müssen. An Leipzig: ich liebe dich trotzdem. Auch wenn Nelli dich uncool findet. Mir egal. Auch mehr als Dresden.
    Liebe Grüße, Luise 🙂

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