Ich war in Leipzig. Ich kannte die Stadt schon im Voraus, denn: meine beste (to be discussed) Freundin Luise wohnt hier. Das hat einen Vor- und einen Nachteil. Der Vorteil ist, dass ich den schlimmsten Monat des Jahres mit seinem diesjährigen Extra-Feature »Lockdown light« psychisch sehr, sehr unbeschadet überstehen konnte – wir haben uns jeden Tag gesehen. Der Nachteil: je mehr ich Luise sehe, desto weniger sehe ich Leipzig. Fast ein glücklicher Zufall, dass alles zuhatte.
Eigentlich war ich, in anbetracht eines wahrscheinlich besseres SEO-Rankings und einem Anflug eines »ich-habe-mir-lange-keine-wortwitzige-Überschrift-mehr-ausgedacht«-Moments schon drauf und dran, den Artikel »Ziemlich beste Freundinnen« zu nennen. Habe mich aber aus verschiedenen Gründen dagegen entschieden. Darum geht’s jetzt.
Ziemlich beste Freundinnen
Mal von allen offensichtlichen nicht-Ähnlichkeiten mit dem ungleichen Paar aus beschriebenen Film abgesehen, störe ich mich bei diesem Titel an eins, zwei linguistischen Feinheiten. Alle haben ja so ihre Problemchen, ich habe meine halt mit Wörtern. Oder Worten. Whatever. Zur Sache.
Erstens. Es war auf unserer Radtour von Frankfurt (Oder) an die Ostsee, wir sind gerade aus Lebus rausgefahren, da habe ich mich bei Luise beschwert, dass ich für meinen Geschmack zu oft abschwächende Gradadverbien wie »ziemlich« verwende. Und irgendwie (Beispiel A) denke ich das immer noch. An sich kann das einem Text oder einem Dialog was ganz nettes geben, so von wegen kleine Verschnaufpause für’s Gehirn, weil das Wort nicht viel Inhalt trägt. Außerdem macht’s ja auch irgendwo einen schönen Redefluss.
Das Problem: es nimmt Aussagen Pepp und Würze. Ein Gradadverb macht aus einer Meinung einen Brei und aus einer spitzen Bemerkung eine Suppe. »Ich bin eigentlich ziemlich zufrieden.« So als ob ich nicht dahinter stehen würde. »Ist relativ gut so«. Will ich mir noch eine Tür offen halten, falls ich’s dann doch nicht gut finde? »Stört mich nicht so richtig«. Habe ich nicht den Mut, zu sagen, was doof ist?
Nun also einen ganzen Text nach einem Schema benennen, das ich als eigentlich für überholt halte: nee, dit mach’n wa nich. Doch abseits davon gibt es noch einen weitaus unangenehmeren Teil meiner Kritik. Ich finde es komisch und ein bisschen peinlich, das Nachfolgende auszutippen. Aber Gedanken kann man sich halt nicht aussuchen und was raus muss, muss raus.
Vorweg: es geht nicht um das Wort »beste«. Da mach ich nochmal ein ganz anderes Fass auf. Nein, nein, mein zweites Problemwort ist, wieviel bleibt da wohl noch übrig, »Freundinnen«. Das klingt doch schon komisch, oder? Ich stehe hier ein bisschen zwischen den Stühlen: meinem Recht und meiner Pflicht, der gendergerechten Sprache nachzukommen und die Frauen-inlkudierende Form zu benutzen, zu Luise und mir also »Freundinnen« zu sagen. Gerade wenn es sich auch nur um Frauen handelt. Zudem bin ich doch die erste, die sich von »Computerlinguist« nicht angesprochen fühlt und ‘n Hals kriegt, wenn jemand nicht einsehen möchte, dass Gendern sinnvoll ist.
Gleichzeitig, und hier kommt das Interessante, ist das Wort aber noch so neu in meinem aktiven Wortschatz (ich hab sonst sehr oft »Freunde« verwendet), dass die Semantik noch krasse, klischeehafte, sehr altmodische (und nebenbei gesagt durch und durch verwerfliche) Attribuierungen auf »Pferdehof« und die Farbe Rosa hervorruft. Auf Zöpfe flechten und Seilspiele. (Ich hasse mich selbst, während ich das hier tippe).
Was also tun? Einfach ignorieren und weiterhin »Freunde« oder »Freund*innen« sagen, dass alles ein bisschen weniger nach Wendy klingt? Oder trotzdem benutzen und warten, bis es mein eigenes, kleines Geusenwort wird, also ein Wort, das erst eine Beleidigung war, dann aber von den Beleidigten mit einer positiven Konnotation besetzt wurde, wie bspw. »Bitch«, »queer« oder das N-Wort? I guess. Manchmal würde ich einfach gern das Englische »friend« benutzen. So simpel, einfach und entscheidungsarm.
Wer ist ein best friend? Und wer ist Luise?
In der Grundschule war es mir sehr wichtig, dass ich eine beste Freundin hatte. Doch zuallererstes hatte ich einen besten Freund. Lukas war seit vor der Schule mein liebster Inliner- und Sims-2-Partner. Er war mein »Schräg-Nachbar«, das heißt »sein« und »mein« Garten teilten sich keine Kante, aber eine Ecke. Wir lernten uns kennen, als ich ihn auf den umsichtigen Vorschlag meines Opas hin einlud, auf meiner Schaukel zu schaukeln. Das zahlte sich später richtig aus: Lukas’ Eltern bauten irgendwann einen Pool.
Lukas und ich waren dann mit Anne und Luise in der Klasse. Wir wohnten an der gleichen Straßenbahnhaltestelle und wir waren die Fledermausbande. Gemeinsame Rituale bestanden daraus, Krümeltee in Schnapsgläsern aufzulösen, bis es eine dickflüssige Masse ergab, die wir dann zaubertrankmäßig hinterstürzten – früh übt sich. Wir bauten Buden, malten viel mit Kreide und spielten »Leben« und sich gegenseitig ausschließen.
Von der Fledermausbande nenne ich Anne und Luise vor anderen Leuten immer noch »meine sehr guten Freundinnen« oder »meine lieben Freunde« und manchmal mir mag da vielleicht auch ein »beste« rausrutschen. Luise sagt immer: »meine sozusagen beste Freundin« zu mir. Anne sagt »eine Freundin von mir, also wir kennen uns schon seit immer«.
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»Beste«
Das Wort ist natürlich trotzdem doof. Was mich daran so verrückt macht, ist, dass ich »bester Freund« gerne sage und vielleicht sogar ein bisschen mit Stolz. Es schwingt dann sowas mit von wegen »guck mal ich habe auch enge, männliche Freunde«. Erbärmlich, ich weiß. Wem muss ich denn das beweisen? Gleichzeitig ist ein bester Freund auch ziemlich klar der beste männliche Freund, aber weil Sprache einfach weird ist, heißt es nicht gleich, dass der »besser« ist meine weiblichen Freunde.
Und da sind wir beim eigentlichen Problem dieses exzellenten Beispiels von Sprache-prägt-Denken angekommen. Was heißt dieses »beste«? Warum sagen das Menschen? Warum sage ich das? »Beste« Freundin impliziert, dass ich andere Freundinnen habe. Und: dass die offenbar nicht so gut sind. In Wirklichkeit sagt das dann über die als »Freund*innen« bezeichneten Menschen erstmal gar nichts aus. Außer, dass sie eine anscheinend sonderliche Person als Freundin haben, die den sinnlosen Spleen hat, Freundschaften nach Wert zu ordnen und eine Gewinnerin zu küren. Und woher kommt dieser Spleen?
Ganz sprachökonomisch ist es natürlich eine eindeutige Beschreibung für eine Person, bei deren Vorstellung ich ausdrücken will, dass sie mir nahesteht und ich sie lange kenne. Das geht schnell und alle wissen, was Sache ist. Ich sage ja auch »mein Partner« und nicht »die Person mit der ich mein Innenleben teile und regelmäßig geschützten Sex habe«. Dann sind alle Menschen entweder »Partner« oder »nicht Partner«. Angwendet auf die von mir liebevoll als BF-Problem bezeichnete Thematik, klingt dann »eine Freundin von mir« im Vergleich zu »beste Freundin« ungefähr so wie »irgendeine x-beliebige Person, die ich irgendwann mal irgendwo getroffen habe«. Und das ist natürlich viel zu schwach. Ich will ja, dass andere Leute wissen, wie nahe ich der Person stehe und wie wichtig sie mir ist.
Die Lösung: das BF-Problem dadurch beseitigen, dass ich das Wort »beste« aus meinem Wortschatz nehme? Somit gäbe es nicht mehr die zwei Gruppen »BF« und »nicht-BF«! Mengelehre? Kann ich. Vielleicht ist es dann doch »eine sehr gute Freundin von mir«. Die Anzahl der »sehr«’s kann ich ja auch noch variieren. Aber was hat das alle mit Leipzig zu tun?
Freundschaften in Städten
Egal, wie man sie nun nennen möchte: das Schönste an meinem Leipzig-Monat war Luise. Dass wir uns jeden Tag gesehen haben, lässt mich über meine Art nachdenken, Freundschaften in Berlin zu führen.
In Berlin ist eine Freundschaft eng, wenn man sich einmal die Woche sieht. Da fehlt dann nicht mehr viel bis zur gemeinsamen Wohnung. Andere Freunde traf ich alle zwei, drei Wochen für zwei, drei Stunden. In denen werden aktuelle Themen ausgetauscht, zwei, drei Bier getrunken und dann geht’s wieder nach Hause. Um alle Freunde regelmäßig zu sehen und meine Zeit effizient auszunutzen, versuchte ich mich meistens auch zum Mittag zu verabreden. Bloß keine Freizeit »verschwenden« – Beziehungen möchten gepflegt werden.
Mit ein bisschen Abstand und einem realistischen Blick auf wie-es-auch-sein-kann, kommt mir das so abstrus und, ja, ein kleines bisschen irre vor: Freundschaften wie der Teil der Arbeit, den man in seiner Freizeit erledigt. Termine, Termine, Termine. So richtig was mitbekommen habe ich dann nie von den Menschen, jedenfalls nicht über das einschlägige wie-läuft-Arbeit-Studium-Liebe-Gespräch hinaus. Der Twist an der Sache: so richtig wahrgenommen habe ich mich dann auch nicht gefühlt. Jeden Tag unterschiedlichen Leuten Auskunft über die gleichen drei Bereiche meines Lebens geben und regelmäßig vergessen, wer wie viel schon weiß: unbefriedigend.
Mein Learning
Egal, ob es nun die beste Freundin ist, eine lange Freundin, eine enge Freundin oder der Mensch, mit dem ich jeden zweiten Tag Mittag esse: enge Beziehungen sind extrem wichtig für unser Wohlbefinden. Und auch, wenn ich das breite Spektrum meiner Freunde bis ins Unendliche schätze, muss ich mir eingestehen, wie mir das im Nachhinein auch viel Kraft geraubt hat.
»Uh, schaut mich an, ich habe zu viele Freunde« – Probleme, die erst auftreten, wenn man wirklich nichts anderes zum Beklagen hat. Auf der anderen Seite sind Menschen einsam. Menschen sind allein. Wir entfremden uns. Fühlen uns nicht gesehen und nicht gehört. Und dass, obwohl wir ständig in Kontakt sind. Wenn Effizienzmenschen wie ich Freunde zu Terminen umgelagern und Großstädte wie Berlin das unterstützen und begünstigen, müssen wir lernen, wieder richtig zu priorisieren. Leipzig für mich: ein Marker. Wie es anders sein kann. Manchmal braucht es eben erst die »beste« Freundin.
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