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Feminismus am Arsch

Michi und ich sitzen im Auto und fahren von der 13.000 Einwohner-Stadt Perleberg nach Jagel, dem 20 Einwohner-Dorf, in dem ich meinen Juni-Aufenthalt bestreite. Michi ist die Freundin von Thorsten, der mich seinerseits drei Mal über diese Facebook-Gruppe »Urlaub gegen Hand« angeschrieben und auf den »Gemeinschaftshof« eingeladen hat. Er hatte irgendwann mal meinen Post in der Wwoofing-artigen Gruppe gesehen und sich ebenfalls einen Blogeintrag über seinen Hof gewünscht. Sei ja auch Werbung. Na dann. Meine Ansicht zu deinem Feminismus. Und zurück zu Michi.

Das Familiendrama

»Und dann hatten wa’ ja letztens hier so’n Familiendrama, da haste bestimmt schon von jehört«. Familiendrama kann ja erstmal alles sein. Ich hoffe sehr doll, dass es nicht die schlimmste der Optionen ist, die jetzt gerade in meinem Kopf aufploppen. Leider liege ich falsch und möchte kurz dazu ermuntern, hier einfach mit dem Lesen aufzuhören, wenn man sich selbst als eher dünnhäutig gegenüber Gewaltattacken von Männern auf Frauen beschreiben würde.

Ich frage nach. »Na dit ging rum hier bei WhatsApp, da hat so’n Mann seine, ick sach mal, Noch-Ehefrau wohl jeköpft. Mit ‘ner Motorsäge«. Ich halte mir die Hand vor den Mund. Mir wird heiß und kalt gleichzeitig. Er hat was??? Was zur Hölle. »Jenau, direkt hier im Nachbardorf. Vor vier Wochen«. Diese Option ist dann wohl noch ein bisschen schlimmer, als das, was ich befürchtet habe.

Michi erzählt weiter. Die beiden hätten schon seit Ewigkeiten Streit gehabt. Sie waren zu dem Zeitpunkt eigentlich schon getrennt, aber noch nicht geschieden. Irgendwann mussten sie dann wohl oder übel ihre Sachen aufteilen und, na ja, dabei kam es zu einer »Aus’nandersetzung«, wie Michi sagt. Krass denke ich. Und gleichzeitig: dass Mord an Ehefrauen wohl leider nicht so ein Einzelfall ist, dass ich jetzt gleich davon »jehört« habe. Puh, ok. Erstmal verarbeiten. Nicht zu nah an mich ranlassen. Kann ich ja eigentlich ganz gut, ich alte Gefühlskühltruhe.

Dann aber sagt Michi etwas, das mir durch Mark und Bein fährt, als hätte ich mir gerade dieses unangenehme Stück des Ellenbogens an einer spitzen Tischkante gestoßen. Etwas, das mir schlagartig erklärt, in welcher Blase ich als Städterin lebe und was für eine Kluft eigentlich zu Menschen auf dem Land besteht. Michi sagt: »Aber eigentlich war dis ‘n janz Netter. Also da muss sie ihn ooch schon janzschön provoziert hab’m«.

Was ist Feminismus?

Beim Streit sind immer beide schuld. Das lernt man schon im Kindergarten. Was ich später dann in meiner coming-of-age-Zeit in Berlin dazu lerne: wenn dieser Streit eher eine Vergewaltigung ist und sich ein Mann an einer Frau vergeht, dann sind nicht beide Schuld. Dann ist es egal, wie sie aussah oder was sie gemacht hat. Wenn sich ein Mann an einer Frau vergeht, ist es auch egal, ob er gesoffen hat. Oder ob er frustriert war. Wenn sich ein Mann an einer Frau vergeht, so hat es mir der Feminismus richtigerweise beigebracht, ist es einzig und alleine seine Schuld. Warum?

Menschen neigen ja in unterschiedlichen Ausprägungen dazu, Kontrolle haben zu wollen. Um diese bei einem solch drastischen Vorfall wiederzugewinnen, schießt das Gehirn der betroffenen Frau gern mal mit einem Mechanismus, bei dem sie sich selbst in der Täterrolle stellt. Und damit »verhindern« könnte. Das hindert Frauen oft davor, die Straftat anzuzeigen. Und im Gegenzug wird der eigentliche Täter in seinem Handeln validiert.

Nächstes Level. Sagen wir, ein Mann und eine Frau trennen sich gerade. Sie haben wahrscheinlich viel Streit, sehen sich selten, vielleicht sogar nur vor Gericht. Sie müssen vieles aufteilen: Möbel, Haus und Sorgerecht. Irgendwann rastet der Mann aus. Und bringt seine Frau mit der Motorsäge um. Wer hat dann Schuld? Der Mann. Einzig. Und. Allein. Der Mann. Und da, wo ich bisher lebte, war das auch immer Konsens.

Jetzt bin ich in der Prignitz. Sitze im Auto mit Michi, die hier aufgewachsen ist und nie weg war. Für die es Normalität ist, sich für die Stadt schick zu machen, wenn sie einmal im Monat in das 30-Minuten entfernte Perleberg fährt. Und ich muss mir eingestehen: das, was für mich bisher Konsens war, ist weit entfernt von dem, an das Michi glaubt.

perle ohne berg

Ein Mord ist ein Mord ist ein Mord

Alle im Dorf mochten den Mann. Er war freundlich und hat immer gegrüßt. Die Frau hingegen galt als eine »Furie«. War nie zufrieden, habe sich oft beschwert. Ich beiße mir auf die Zunge, um nicht zu besserwissen, wie viel falsche Bedeutung und Antifeminismus das Wort »Furie« mit sich bringt. Ebenso verschweige ich, dass es ja meist Gründe hat, wenn Menschen unausgeglichen sind, sich beschweren, traurig sind oder schnell wütend werden. Das weiß Michi eh von selbst: »Die hatte bestimmt schon viel zu tun Zuhause« und beginnt, von ihrer Geschichte zu erzählen.

Michi hat auch einen Ex-Mann, der nie zufrieden war. Hat sie mit den Kindern gelernt, hätte sie ihnen die Aufgabe abgenommen und vom selbstständigen Lernen abgehalten. Hat sie nicht mit den Kindern gelernt, wäre sie nachlässig gewesen. Nebenbei musste sie kochen, putzen, waschen und sich um den Hof kümmern. Und, ach ja, ihrer Lohnarbeit nachgehen. Vierzig Stunden die Woche. Trotzdem: ihrem Mann konnte sie es nie Recht machen. Da musste sie sich irgendwann trennen.

Von da an, sagt sie (und ich denke: wahrscheinlich auch schon vorher), habe sie immer versucht, so nett und freundlich wie möglich zu sein. »Du darfst ja dann die Männer auch nicht noch ansticheln«. Nicht provozieren. »Die Männer« seien ja eh nie zufrieden, damit müsse man sich halt abfinden. »Und ick denke, dit hat die eben nich’ jeschafft«. Und wahrscheinlich sei das ja eh nur ein Unfall gewesen. Die seien sich bestimmt nicht einig geworden und so habe der Mann dann bestimmt angefangen, die Möbel aus Trotz mit der Motorsäge zu aufzuteilen. »So von wegen: na denn nimm doch hier die Hälfte. Und da is’ ihm dit Ding denn bestimmt mal ausjerutscht.«

Was war nochmal Gleichberechtigung?

Ausjerutscht.

Aber so sehr ich auch versuche, meine Sichtweise deutlich zu machen: Michi bleibt dabei und meint, dass die Frau daran Schuld sein. Dass man halt nicht provozieren darf. Dass Männer eben aggressiv werden können und dass dann sowas passiert. Bringt sogar noch ein Beispiel an, wo ein Schüler seine Mitschülerin ertränkt hat – sie habe ihn immer gemobbt. Da tickt der dann halt irgendwann aus.

Es ist nicht so, dass ich jemals viel für den Feminismus getan hätte. Dank meiner ganzen Privilegien hatte ich wenig Leidensdruck, abgesehen von so einigen strukturellen Hürden natürlich. Auch hier kann ich mich aber eigentlich kaum beklagen. Ich profitiere von vielen Dinge, für die etliche Menschen, etliche Frauen, jahrzehntelang gekämpft haben: wählen, studieren, arbeiten. Das Wissen darüber, dass Männer nicht mehr oder weniger aggressiv sind. Dass der Haushalt gerecht aufgeteilt werden soll. Dass Menschen unabhängig ihres Geschlechts alle möglichen Charaktereigenschaften haben können. Dass es strukturelle Ungerechtigkeiten gibt. Dass es Rollenbilder gibt, die irgendwie verankert sind. Und dass das falsch ist und man das ändern kann. Wir sind noch nicht am Ende. Aber wir sind auf einem guten Weg.

Und wann kommt er hier an, der Feminismus?

Aber dann, also hier, also jetzt, also hier mit Michi im Auto in der Prignitz wird mir klar, dass das eben meine extrem priviligierte Blase ist. Ich komme auf’s Land. Zu Michi, die keinen Computer benutzt und auch keine aktive Mailadresse hat. Und muss mir von Thorsten anhören: kannst du bitte noch fegen und wischen, dann muss Michi das nicht machen. Oder Michi die sagt: »na ja Thorsten sieht dit ja auch janich mit dem Dreck und dem Schmutz, den stört dit nich’. Na ja und denn mach ick dit halt«. Und einem Thorsten, der währenddessen keine 35-Stunden-Lohnarbeit und auch keine 35-Stunden-Carearbeit macht. Sondern sich die Zeit auf Facebook vertreibt und nichtmal in Erwägung zieht, dass er auch Kochen, Putzen, Abwaschen, die Terrasse fegen und sich um die Tiere und Tomaten kümmern könnte.

Thorsten ist deswegen kein schlechter Mensch. Zum Ausnutzen und ausgenutzt werden gehören immer zwei dazu, würde jetzt Luises Mama sagen. Ich bin nur enttäuscht, wütend und verwundert, wie wenig vorangeschritten hier der gesellschaftliche Fortschritt ist, den wir in der Stadt schon genießen. Und: Michi tut mir Leid. Als ich sage: »Ich glaub, du bist zu lieb für diese Welt«, sagt sie: »Dit gloob ick ooch«.

Stadt und Land

Stadt und Land sind so gegensätzlich, wie Ernie und Bert. Eine adaptierte Version eines Zitats von Max Prosa wäre: und die Städter kennen die Probleme der Ländler nicht und schätzen sie gering. Und die Ländler kennen die Probleme der Städter nicht und schätzen sie gering.

Wenige, sehr wenige Menschen, kennen Stadt und Land. Daher will ich hier auf dem Land auch niemandem einen Vorwurf machen, keinen astreinen Feminismus an den Tag zu legen. Und ich unterstelle den Leuten hier auch keine Ignoranz. Sondern frage mich eher: woher soll es denn kommen? Ich selbst sitze ja an Tag sieben vor meinem Rechner und realisiere, dass ich seit meiner Ankunft nicht eine Nachricht geguckt oder gelesen habe. Warum auch? »Geht mich ja eh nischt an«, denke ich nach einer (!) Woche auf dem Land. Wie abgehängt fühlt man sich denn dann bitte, wenn man hier aufgewachsen ist?!

auf dem land sehen autos so aus

Das Stadt-Land-Gefälle, so hört man immer wieder, ist groß und wird größer. Und ja, das kann ich jetzt aus erster Hand bestätigen. Es gibt viele Gräben zu überwinden. Doch für’s erste wäre es schön, wenn nun auch Thorsten mal den Wischlappen in die Hand nähme, um Michi wenigstens ein bisschen zu entlasten.

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