Der Puls kann hier wieder runtergefahren werden: es ist nicht mein Trier. Es gibt kein »mein« Trier. Und zur Steigerung der Dramatik sage ich auch: es wird nie ein »mein« Trier geben. Generell gibt es eigentlich kein »mein« + Stadt. Es war nie »mein« Berlin, »mein« Kreuzberg, nie »mein« Frankfurt (Oder). Höchstens vielleicht »meine« Gartenstadt, die Wohnsiedlung in der ich aufgewachsen bin. Aber auch das nur unter Vorbehalt.
Nimmt diese Relativierung jetzt schon alles vorweg? Will ich damit Berlin und Trier auf eine Stufe stellen? Sage ich nach 28 Tagen Trier genau so »mein« wie ich es zu Berlin nach sechs Jahren sage? Muss ich etwa erstmal in ein ortsansässiges Gewässer gefallen sein, um die Stadt »mein« nennen zu können? Trier hätte gute Chancen.
Wo war ich?
Ich war in der ältesten Stadt Deutschlands. Ich befand mich im deutschen Westen und im Kopf zwischendurch auch mal wieder in meinem Italien-Auslandssemester, muten doch manche Ecken der Trierer Innenstadt ziemlich römisch an. Es gibt eine wunderschöne (und leider auch touristisch sehr erschlossene) Altstadt, einen Dom, eine Basilika (mit Wasserbecken im Palastgarten, here you go), Weinberge, die Mosel (die hier irgendwie auch nicht anders aussieht, als jeder andere Fluss, aber einfach einen schöneren Namen hat (bin bereit, über Flüsse zu streiten)), das Karl-Marx-Haus und janz viel jrün. Und trotzdem war es egal, dass ich hier war. Es war egal, dass ich fast an der Luxemburgischen Grenze war. Es war egal, dass es nicht weit nach Frankreich, Saarbrücken oder in die Eifel war. Denn was in Trier einzig und allein gezählt hat waren, Achtung, Schnulz, die Menschen.
Und jetzt sitze ich nach den intensivsten 28 Tagen seit sehr langer Zeit im Zug und höre (schlechte) traurige Musik. Es ist das erste Mal, dass ich einen Ort verlasse und eigentlich lieber nicht gehen will. Es ist das erste Mal, dass ich nicht »voll« von der Stadt bin. Dass ich nicht genug habe. Dass ich bleiben will. Dass ich dieses Vermissen-Gefühl spüre. Cenin sagt: du hörst dich an, als hättest du Liebeskummer. Ich sage: ja, so fühlt’s sich auch an.
Menschen, Menschen und Menschen
Das gehört dann wohl auch dazu, wenn ich sage, dass ich jeden Monat umziehen will. Dann muss ich wohl in Kauf nehmen zu erfahren, was ein schwerer Abschied ist und dafür zu wissen, dass man ’ne gute Zeit hatte. Auseinander gehen ist schwer, singen Wanda. Und jeder der hier sitzt, weiß das so sehr. Tina sagt: irgendwann sei es dann nur noch schön, wenn ich an Trier denke. Ohne traurig. Na dann, große Schwester: ich warte.
Das Kapitel Trier wirft Fragen auf. Wie wichtig ist es, in welcher Stadt ich eigentlich bin? Ist die Größe der Stadt entscheidend für intime Begegnungen? Kann ich beeinflussen, welche Menschen ich kennen lerne und wenn ja, wie? Kann ich mit Absicht Menschen mit alternativen Lebenskonzepten kennen lernen? Menschen, die mich an meine Grenzen und darüber hinaus bringen? Die vielleicht nicht immer politisch korrekt unterwegs sind, aber immer alles sehr wahrhaftig meinen. Die ihre Meinung haben. Bei denen ich weiß, woran ich bin. Mit denen ich streiten kann?
Abendspaziergang: Cenin zeigt mir Trier Hauptmarkt Cenin posiert
Doch vor allen Dingen: wird jetzt jeder Monat so intensiv? Ich bin froh, dass zwischen alter und neuer WG noch drei Tage bei Luise liegen. Eine meiner engsten Freundinnen, bei der sich besuchen ein bisschen wie zu Hause sein anfühlt. Bei dir ich erstmal ein bisschen Zeit habe meine Gedanken zu ordnen. Mich zu sortieren. Alles zu verarbeiten.
Fortsetzung folgt.
[…] Bevor ich Cenin traf, dachte ich, dass ich ein sehr toleranter Mensch bin. Und nicht falsch verstehen: ich denke das schon immer noch. Was aber Toleranz noch bedeutet, wo die Grenzen meiner Toleranz liegen (oder lagen?) und was das alles mit der eigenen Meinung zu tun hat, lerne ich in Trier. Dass Toleranz eben auch bedeutet, andere Meinungen zu tolerieren und Jonas‘ Zweifel gegenüber Corona nicht tot zu diskutieren. »Weißt du, Nelli, für mich ist jemand ein guter Mensch, wenn er 70 Prozent der Zeit ein guter Mensch ist. Und auf welchem Teil seines Selbstfindungstrips der Jonas jetzt dieses Zeug aufgeschnappt hat ist mir erstmal egal. Hauptsache der Typ meint die Dinge gut. Und das tut er.« Das tut er wirklich. So sehr, dass wir uns am Ende sogar im wirklich Guten voneinander verabschieden. Aber wer ist denn eigentlich Jonas? […]
[…] Computer, Mathe), obwohl ich eine Frau bin. Dass das ja echt außergewöhnlich sei. Ich denke an Cenins Worte. Und bin dankbar für ein wenig kulturellen Austausch. Jetzt wiege ich mich in dem Gedanken, Mos […]
[…] Spaziergang auf die Toilette darüber gewundert, dass sowohl im Ess- als auch im Wohnzimmer meiner Trierer WG noch Licht an ist. Hatte nicht Cenin, die alte Eule, in der letzten Woche erfolgreich geschafft, […]
[…] Urlaub gegen Hand hörte ich zum ersten Mal in Trier. Eine Bekannte aus Berlin, Lena, die eigentlich aus dieser ältesten Stadt Deutschlands kommt und […]
[…] warum Passau?« – das ist die Frage. Es war auch die Frage »Und warum Trier?« und es wird auch »Und warum Tübingen?« heissen. Leute in mittelgroßen Städten mögen ihre […]
[…] Nachbarn II. So heißt der Song der großartigen Trierer Post-Punk-Band Love A, in dem sie Albtraum und Alltag heutiger Wohnraumkonzepte beschreiben: man […]