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Von Espressotassen und anderen Überflüssen

Monat Nummer eins, in dem ich noch davon ausging, dass ich ein Jahr in Hamburg wohnen werde. Also habe ich auch all’ meine Sachen so gepackt, als würde ich wieder sesshaft werden. Also, was heißt hier schon »wieder sesshaft«. Als wäre ich je nicht sesshaft gewesen. Vielleicht formulieren wir es so: ich habe meine Espressokanne samt Espressotässchen, -löffelchen und -untertässchen mitgenommen. Mein kleiner Luxus. Aber was brauche ich wirklich?

Das, in Ermangelung eines besseren Wortes und mit dem Wissen über mögliches Wiederaufleben meines Beinamen »Omma Oldenburch«, Espresso-Set habe ich dann fein säuberlich in meinem 45x45x45cm großen Fach in meiner neuen WG aufgestellt, Bildchen nach vorne, soll ja auch nach was aussehen. Den beim ersten Einkauf erworbenen Lidl-Espresso habe ich schräg dahinter platziert, das Ensemble im Goldenen Schnitt mit dem batterienbetriebenen Milchschäumer. Genau 28 Tage später räume ich dieses Stillleben nun unter Fluchen und einem Anflug von Sentimentalität wieder zurück in die Blechbox, die eigentlich eine gute Größe für Tässchen, Untertässchen und Kännchen hat. Leider aber immer zur Tetris-Tagesaufgabe mutiert, wenn auch noch zehnteiliges Ersatzlöffelchenset und Milchschäumer mit rein müssen.

Ich brauche: Listen

Das ist der Beginn meiner Liste mit Sachen, die ich in den nächsten zwölf Monaten nicht brauchen werde, feat. Beutel Nummer drei und vier, Bücher Nummern zwei bis fünf, vier paar Ohrringe, Chucks (ich weiß, da lässt sich drüber streiten), einem zweiten Reiserucksack, drei Pullovern und den 600 Seiten »Speech and Language Processing« von Dan Jurafsky und James H. Martin, die, ich weiß, es auch digital gibt, ja, aber ich bin eben mehr der haptische Typ, ich drucke ja sonst auch nichts aus, müssen wir jetzt auch nicht ausdiskutieren, ok, ja, danke. Brauche ich nicht, schon klar.

Gleichzeitig ist es aber auch der Beginn meiner Liste mit Sachen, die ich in den nächsten zwölf Monaten auf jeden Fall brauchen werde. Hier steht auch irgendwie relativ viel drauf und das lässt mich gleichzeitig darüber erschrecken, wie viele Dinge ich besitze, und mich von dem Gedanken verabschieden, dass ich jemals eine gute Minimalistin sein kann, die nur einhundert Dinge besitzt. Es ist zwar nicht so, dass ich zu irgendeinem Zeitpunkt probiert hätte, nur einhundert Dinge zu besitzen, auch wenn sich mir der Sinn eines solchen Unterfangens sofort erschließt. Gleichzeitig war ich mir aber auch nie über den Umfang von einhundert Dingen bewusst. Schon beim Zählen meiner Unterwäsche komme ich auf zwei Wochen ohne Waschen – und wenn ich ehrlich bin, soll das auch so bleiben. Brauche ich für zwölf Monate zwei Handtücher? Oder reicht nicht auch eins?

Gedanken zum Minimalismus

Schlüsselerkenntnis #1, die ich aus meiner einmonatigen Rucksackreise durch Italien damals mitgenommen habe und mir jetzt wieder aufflackern: ein Pullover reicht leider vollkommen aus. Alle Avancen, sich mal anders zu kleiden, zu variieren oder ein gesamtes Outfit zusammenzustellen sind auf Reisen nichts anderes als Ballast. Ich habe noch heute das Bild von Anni in ihrer grünen Hose und den weiß-blauen Pulli im Kopf, das ich in diesem Monat täglich gesehen habe.

Schlüsselerkenntnis #2: auch wenn ich mir das immer einrede und deswegen meine tollen schwarzen Lederschuhe aus Italien immer bei mir haben will: aber ich gehe nie auf schicke Anlässe, die nicht mit meiner Familie zu tun haben. Und muss daher nicht zwei Blazer, verschiedene Strumpfhosen und einen Jumpsuit durch die komplette Republik tragen.

Schlüsselerkenntnis #3: ich habe mich nicht ein einziges Mal über Dinge geärgert, die ich nicht dabei hatte. Zugegebenermaßen hatte ich auch von der Bluetooth-Box bis zum Poesie-Album alles dabei. Aber mir hätte bestimmt noch mehr einfallen können.

An dieser Stelle wollte ich ein Meme über leichtes oder schweres Gepäck einfügen. Habe aber keins gefunden, was nicht sexistisch ist und die Suche nach 25 Minuten abgebrochen. Deshalb hier eine Galerie mit besprochenen Sachen.

Bis zum nächsten Spontankauf

Nun. Menschen neigen ja immer dazu, dann hinterher den Roten Faden in allem zu sehen. Und so hatte ich jetzt also diesen ersten Monat Vorbereitungszeit in Hamburg. Mich sammeln und von außen auf das System gucken. Neu evaluieren und nochmal nachdenken. Am Ende des August dann, stand ein Besuch in Berlin an. Mit samt eines Rucksacks mit Sachen, der sich zu meinen anderen Besitztümern in den Keller meiner Schwester gesellen wird. Mein Reisegepäck: halbiert.

Wenn sich diese Halbwertzeit bewahrheitet, komme ich am Ende zurück, wie eine wahre Wandersfrau: Das Gepäck geschultert, Laptop unterm Arm, Wanderstock in der Hand. Das wäre cool, denn momentan habe ich immer noch das Gefühl, das ich nicht alles wirklich brauche.

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