»Ja wir müssen jetzt mal auflegen, weil ich mich hier so’n bisschen verlaufen habe« sage ich zu Robert, als wir über die Interviews mit den Kreuzberger Bundestagskandidaten sprechen. »Verlaufen? Meintest du nicht, du bist im Saarland? Wie sehr man sich denn auf zwei Fußballfeldern verlaufen?«. Haha. Ja. Noch nie gehört. Das Saarland und seine Größe. Na Mensch.
Eigentlich wollte ich ja zuerst in den Ruhrpott, weil ich da noch nie war. Aber da habe ich außer sehr zwielichtigen Anzeigen nichts brauchbares gefunden und, nun ja, dann hat sich das Saarbrücken gemeldet – oder soll ich sagen »das Saarland«? Sonderlich groß zwischen Stadt und Land wird hier nämlich nicht unterschieden. Hier halten alle zusammen. Achtung, Witz: Sind ja auch nicht so viele.
Über fehlende Vorurteile
Die Wochen bevor ich herkomme, bin ich ziemlich »hyped«, wie man in meiner Generation zu sagen pflegt. Ich habe richtig Lust, jetzt nochmal was neues zu lernen. Das unbekannte Bundesland. Und so richtige erste-Hand-Erfahrungen zu machen. Juhu!
Bisher waren meine einzigen drei Schnittpunkte in 24 Jahre Lebenszeit zu einem kompletten Bundesland folgende: entweder a) hat Hannes in Tübingen über den leider Wahl-Saarloiuser Peter Altmeier erzählt, b) Cenin und Yousif haben in Trier über Lyonerwurst geredet oder c) Flo hat erzählt, wie albern das »Lyonerworschd & Dibbelabbes«-Lied ist. Ich weiß mehr über Wladiwostock als über die 2.500qm im Südwesten Deutschlands. Aber bitte nicht nachprüfen.
Was ich jetzt weiß? Zum Beispiel, dass Annegret Kramp-Karrenbauer und eine weitere lange Riege von Politiker:innen hier herkommen (warum eigentlich?). Und dass Saarbrücken ein ziemlich cooles Museum für Moderne Kunst hat. Selbst eins, zwei Picasso-Ertüchtigungen konnten die hier irgendwie ranschaffen.
Wie geht Bundesländerkunde?
Wie über jede Region, in der ich so bin, schaue ich mir also die Dokus an, die YouTube so zu bieten hat. Ich gebe in die Suchleiste: »Saarland« und der Streamingdienst beglückt mich mit klangvollen Titeln wie »Das Saarland: noch ein Geheimtipp«, »Saarland – das unterschätze Bundesland« und »die vergessene Geschichte des unabhängigen Saarlands«. Meine Diagnose steht fest. Das Saarland hat ein Selbstwertproblem.
»Das Selbstbewusstsein der Saarländer hört mit den Grenzen des Bundeslandes auf« trichtert mir die Doku »Saarland – das unterschätzte Bundesland« ein. Es geht um Botschafter:innen, die »das Saarland ins Bewusstsein vieler Menschen bringen sollen«. 132 Menschen, darunter ein Fußballer, ein Astronaut und eine Modedesignerin. Ein Bundesverfassungsrichter und, klar, Anngret Kramp-Karrenbauer. Eine Kampagne zum Strukturwandel.
Es geht um die Größe, aber da gibt’s noch mehr
Alles klar. Es geht, wie so oft, um die Größe. Verständlich einerseits, denn irgendwie ist die ja der auffälligste Faktor, um sich von anderen Bundesländern abzugrenzen. Schade andererseits: denn wenn selbst auf Wikipedia steht »Mit seiner Ausdehnung auf 2.569,69 Quadratkilometern hat es sich im deutschsprachigen Raum als Größenvergleichsmaßstab für mittelgroße Katastrophenereignisse, wie Waldbrände oder Überflutungen etabliert« läuft meiner Meinung nach irgendwas schief. Es ist so’n bisschen wie das Kind in der Klasse, das sich immer über seine eigenen Unzulänglichkeiten lustig macht. Und dadurch die anderen erst auf sich aufmerksam.
Dabei, oh ja, ich sage den Satz, hat das Saarland wirklich, Achtung, fertig, los: mehr zu bieten.
Durch’s Viertel
Wenn ich sage »viel zu bieten« meine ich damit als allererstes wirklich nicht die Städte. Auch wenn Hannes, wie sich das so gehört, nur in höchsten Tönen von seiner Heimatstadt Saarlouis schwadroniert, muss ich doch nach einer kurzen Stippvisite sagen: ja, hübsch. Aber wegen mehr als der Karlsberg (mit K!) Brauerei muss man hier nicht hinkommen. Paar alte Römerrelikte, schöner Park, fertig. Und auch Saarbrücken ist eher das, was man sich unter einer schnell wiederaufgebauten und deswegen eher in Punkto Ästhetik mangelhaften 70er-Jahre-Flachbau-Stadt vorstellt. Mit seinem Tunnel am Ende des Lichts: dem Nauwieser Viertel.
Das Viertel, wie man hier so sagt, ist der Teil der Stadt, in dem man wohnen will. Wunderschöne Altbauhäuser säumen die engen Einbahnstraßen, alles ist in Goldbraun und Rottönen gehalten. Es gibt bewachsene Innenhöfe mit urigen und doch modernen Cafés, ein kleines Arthouse-Programmkino ist ebenfalls ansässig: das achteinhalb. Daneben gibt es einen Fair-Teiler, ein Lebensmittel-Rettermarkt und zwei weitere Bio-Läden, die als mein teurer, aber naher Milchmann fungieren. Das kann sich sehen lassen!
Die Menschen im Viertel kennen sich. Alle. Die Bars und Kneipen kann man an zwei Händen abzählen. Wer wann dort arbeitet, ist immer allen präsent und bis zur Sperrstunde um 12 wird das hier von den Menschen auch gut ausgenutzt. Die Ladenflächen sind bevölkert von Strickwolle-Heinz, Antiquitäten-Ute und Buchladen-Horst. Alles in allem: kann man machen.
Von Saarbrücken ins Kanzleramt
Über das mit den Politiker:innen habe ich mir da mal Gedanken gemacht. Zum ersten Mal kam das mit meinen Berliner Mitbewohner Linus und Oli auf. Die meinte dann gleich, dass man ins Saarland ziehe, weil das halt so klein sei, dass man da schnell mal nach oben steige. Weil’s kleiner ist. »Ja, hm, stimmt, ach so« habe ich das ohne auch nur den leisesten Versuch eines angeschalteten Gehirns abgenickt. Wieder mal: it’s die Größe to blame.
»Aber warte mal« fiel es mir dann zwei Monate wie Schuppen von wo auch immer runter. »Nur weil die Fläche des Bundeslandes klein ist, gibt es ja nicht automatisch weniger Leute in der Landespolitik«. Und gleichzeitig gibt’s ebenso weniger Sitze im Bundestag. Und schon gar keine Garantie auf irgendwelche Ministerposten. Aha, aha. So, so. Bleibt also immer noch das große Rätsel um Minister:innen aus dem Saarland – Wieso, weshalb, warum?
Trotzdem: auch wenn Peter Altmeier und Oskar Lafontaine garantiert nicht unsere Lieblingspolitiker sind, so kann das Saarland doch schon allemal mit Heiko Maas auftrumpfen. Außenminister sind einfach immer cool. Und, ja, auch wenn ich die CDU in weiten Teilen scheiße finden muss und mich wirklich nicht um die verschiedenen Posten schere, ist Frau Kramp-Karrenbauer glaube ich schon eine sehr schlaue und vielleicht auch ein bisschen coole Frau… die vielleicht ein bisschen Pech in der Bundespolitik hatte 😉
Das kleine Land, wo sich alle kennen
Und dann irgendwie hat die Größe ja auch sein Gutes. Also, vieles Gutes. Aber eine gute Sache besonders: ich weiß jetzt, was Flo immer meinte, als er sagte, dass es typisch sei, immer jemanden zu kennen. Die Leute sind hier regional verortet. Innerhalb des Saarlands stehen sie sehr zu ihrer Heimat und durch kurze Wege und die kleine Anzahl an Menschen kennt man eben wirklich immer jemanden, der jemanden kennt. Was mich natürlich gleich wieder an meine 1A Nachbarschaftserfahrung in Freiburg denken lässt und mich noch wohler fühlen.
Dass das Saarland immer auf seine Größe reduziert wird, liegt sowohl an den Saarländer:innen selbst, als auch am kompletten Rest von Deutschland. Dass es aber auch ziemlich viele Vorteile bieten, in einem kleinen Land mit kurzen Wegen zu leben, lerne ich hier. Ich finde: Saarland, du verdienst mehr Selbstbewusstsein. Und zwar wegen deiner Größe.
[…] gerade in Saarbrücken bin. Die Frage kenne ich schon aus Trier und Passau, Städten mit ähnlicher Größe: warum wolltest du denn hier hin? Aber ich find’s klasse – auch wenn ich vom Saarländer […]