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Kölle, Alaaf – Karneval im Lockdown

Karneval. Fucking Karneval. Da muss ich wohl durch. Schon klar, dass es wenig zielführend ist, mich einem mir unbekannten Thema mit einer Berliner Ignoranz zu widersetzen, wenn ich in eine Stadt gehe, für die Karneval nicht nur ein, sondern eventuell sogar das Thema ist. Aber, lieber Karneval, habe ich mir doch einst geschworen, dich nie zu mögen. Auch: dich nie zu verstehen. Habe immer einen großen Bogen um dich gemacht. Über jeden »Karneval in Hamburg: alles wie immer«-Witz artig gelacht – auch wenn er schon hundert Mal gemacht wurde. Nie ging mir die Missachtung aus. Und jetzt? Lerne ich dich kennen. Und denke über mein Kostüm für’s nächste Jahr nach. Was ist falsch mit mir?

Der Karneval als Kulturgut

Begriffserklärungs-ein-mal-eins. Und los. Erstens. Für was steht »Karneval«? Großes-Latinum-Leute vor! Karne. Val. Carne. Vale. Fleisch. Gegangen. Fleisch. Lebe wohl. Klingelt’s? Bei mir auch nicht. Also. Es geht darum, dass wir jetzt nochmal feiern, bevor sich das Fleisch am Aschermittwoch von uns verabschiedet. Schließlich beginnt da die Fastenzeit. Ob das nun das Fleisch ist, das man isst oder das Fleisch auf den Knochen bleibt der Vorliebe verehrter Leserin überlassen.

Doch so sei es. Heutzutage geht’s beim Karneval vordringlich um’s Feiern. Auf die Frage, ob er denn verstehe, warum Leute aus dem Osten Karneval eher peinlich und scheiße finden, sagt der noch-nicht-Freund-von-Laura Tobi: ja. Das mit den Kostümen und der Musik, da müsse man erstmal reinkommen. Und wenn man nicht damit aufgewachsen ist, sei das garantiert nicht leicht. »Aber am Ende ist es nichts anderes als fünf Tage feiern. Und wenn du gerne feierst, dann magst du auch Karneval. So einfach.«

alaaf!

Das mit dem Aufwachsen wird mir erst so richtig klar, als Laura von ihrer Karnevalskindheit erzählt. Sie ist an der für den Rest Deutschlands komplett unbedeutenden Alaaf-Helau-Grenze in Hilden aufgewachsen. Für sie die Welt. Ab dem Alter von 15 kümmerte sich ihr Papa um die alkoholische Untermalung der Weiberfastnacht, also des Donnerstags. Eine Flasche Rum. Und eine Flasche Cola. Um 11:11 Uhr geht’s ja traditionell auf allen größeren Plätzen los. Da sollten die Mädels dann auch was zu trinken dabei haben, so wie alle anderen. Ein paar wenige Leute hatten an dem Tag noch Schule oder Arbeit. Die allermeisten aber haben frei. Verordnet. Auch die Sparkassen. Auch die Versicherungen. Ab 11:11 Uhr arbeitet: nur die Leber. Find ich ja schon mal stark.

An diesem Tag ist man dann die ganze Zeit draußen. Oder fast. Laura meint, optimal sei es, wenn man sowas wie eine Homebase hat. Dann könne man bis halb eins, eins draußen sein und trinken, danach reingehen und sich aufwärmen, »im besten Fall was essen« und dann den Nachmittag nochmal »durchstarten«. Und wenn man keine »Homebase« hat? »Na ja dann musse halt durchzieh’n.« Und draußen feiern.

Karneval light – die Lockdown-Edition

Lauras Schwester hat den diesjährigen Karneval übrigens trotzdem gefeiert. Bei sich zu Hause. Mit ihrer Mitbewohnerin. Verkleidet am Küchentisch. Meine blauäugige Frage »für wen« versteht weder sie noch irgendeine andere Person.

Laura und ich hingegen durften uns an Weiberfastnacht Blumen abholen. Normalerweise ist das ja der Tag, an dem den Frauen das Regiment überlassen wird. An dem mal sie für einen Tag herrschen dürfen – daher auch der Brauch mit dem Krawatte abschneiden. Tobi hat allen Abstandsregelungen gerecht nun einen Flaschenzug gebastelt, an dem er Tulpen für die vorbeilaufenden »Weiber« runterlässt. »Bliev Jeck« steht drauf. Wie schön!

flaschenzug mit blumen

Der Freitag ist dann meist etwas ruhiger, schließlich hat so ungefähr die ganze Stadt einen Kater. Laura meinte, dass sie das heute auch nicht mehr schaffe, dieses fünf-Tage-Durchfeiern. Aber ja, einige würden das machen. Sie aber will dann meistens Samstag und Montag nochmal richtig fit sein. Wir bestellen abends Pizza, ich biete alkoholfreies Bier an. »Danke«, sagt Tobi, »an Karneval trinke ich kein alkoholfreies Bier.«

Am Lockdown-Samstag trifft sie sich mit ihren Mädels auf Zoom. Ich bin nicht dabei, doch kann erahnen, wie sehr am Nicht-Lockdown-Samstag gefeiert wird, als Laura nach diesem acht(!)-Stunden-Zoom-Meeting verkatert und mit Muskelkater in den Waden (»vom ganzen Rumhüpfen vor’m Bildschirm«) vor mir steht. »Was zur Hölle« denke ich leise in mich hinein. Dabei ist doch Montag eigentlich erst der Karnevalshochbetrieb.

An jenem Montag passiert allerdings so gut wie gar nichts in Köln. »Kölle blieve brav«, steht auf den Plakaten in der Innenstadt. Normalerweise finden heut die Umzüge statt. In Düsseldorf passiert das Ganze wohl schon am Sonntag, warum, keine Ahnung, wahrscheinlich hat sich das einfach historisch entwickelt, eine Kölnerin würde sagen »weil die in Düsseldorf bescheuert sind« und umgekehrt. Diese Umzüge sind dann der Punkt, an dem ich mental wieder einsteige. Umzug: kenn ich. Schon mal im Fernsehen gesehen. Kamelle. Kenn ich auch.

kölle alaaf, mir blieve brav.

Ein Jeckenfrühstück

Wir jedenfalls setzen uns am Sonntag zu einem Karnevalsfrühstück zusammen. Auf dem Tisch liegen Papierschlangen und anderes buntes Zeug. Wie auf einem kleinen Schrein steht in der Mitte ein Herrengedeck, ein Ding, das einen viel zu schönen Namen für die in Wahrheit relativ widerwärtige Sache hat, die es beschreibt. Von draußen hört man vereinzelt Jecken durch die Stadt grölen, Autos hupen, Boxen pumpen. Drinnen hören wir Tobi’s Karnevals-Playlist und ich war sehr lange nicht so froh, nicht draußen sein zu müssen, bei minus acht Grad. Zeit für ein Kreuzverhör.

Behandelt man Karneval in der Schule? Nö, nicht in der Nähe von Konstanz, wo Tobi aufgewachsen ist. Oder besser: nicht im Unterricht. Thema war’s schon: ab und zu hat die Polizei mal vorbeigeschaut, Schließfächer wurden verriegelt, Taschen kontrolliert. Man wollte Fünftklässler vor besoffenen Abiturienten schützen.

laura und tobi: karneval zuhause

Und was ist mit den ganzen Bräuchen? Also. Es gibt einen Prinz, der für fünf Tage symbolisch die politischen Ämter übernimmt. Es gibt viele Lieder darüber, wie gerne man mal Prinz sein wolle. Die Besitzerin der Stammkneipe seines Heimatdorfes, erzählt Tobi, schwelgt heute noch in Erinnerungen, als sie vor 50 Jahren einmal Prinzessin war. Heutzutage machen das Leute, die eigentlich eh schon Einfluss hätten. Leute von den Sparkassen oder so.

Ein weiteres Ding sind Funkenmariechen und die Karnevalsgarde. Mit der, so verrät uns Wikipedia, habe man sich früher über das Militär lustig gemacht. Ganz sympathisch, denke ich. Und dann haben dazu noch alle frei, nur um sich mal fünf Tage lang über die Obrigkeiten lustig zu machen? Gefällt mir. Doch geht’s hier trotzdem noch um viel mehr. Es geht um ein Gefühl, das man eben nicht hat, wenn man diese Ausnahmesituation nicht von klein auf kennt. Nachfühlen fällt da schwer. Auch, als er einen Bayerischen Freund auf dessen Bitte mal zur Jeckenzeit nach Köln einlädt, versteht dieser von den Liedern wohl nur Bahnhof: »da gehts eigentlich nur um das sich gegenseitig in den Armen liegen und mitzugrölen«. Aber das mache Karneval eben aus, das Generationenübergreifende. Eine Zeit, in der alle gleich sind – alle Altersgruppen, alle Berufe, alle Heimaten.

Diese Rufe sind übrigens auch historisch irgendwie gewachsen. Alaaf, das man in Köln benutzt, kommt von »über alles«. Die Herkunft von »Helau«, dessen Hochburg Düsseldorf ist, ist nicht ganz geklärt. Entweder »hell auf« oder »heil auf«. Oder was ganz anderes. Doch auch hier ist Ruf nicht gleich Ruf. Wo ein unbeschriebenes Blatt wie ich wohl denkt: damit hat sich’s, wird erklärt: fast jedes kleine Dorf habe seinen eigenen Ruf. In Mayen singe man dann »Mayen Mayen« oder so.

Und das Kostüm? Das geht im November los mit dem Überlegen. Da reicht ja auch nicht eins. Man braucht schon so drei. Man muss sich überlegen: bin ich drin oder draußen? Wer will ich sein? Niemand will ein Mainstream-Kostüm haben. Space-Girl, zum Beispiel. Das war wohl vor zwei Jahren voll das Ding. »Das judge ich dann schon«, sagt Tobi. Cowboy, Pirat und Indianer gäbe es so gut wie jedes Jahr – steht aber zur Zeit in Kritik. Kulturelle Aneignung ist auch beim Karneval ein Thema. Dafür: Handwerker, Pilot, Matrose, Funkenmariechen, Feen, Engel, Teufel und »diese ganze Tiersparte in Einteilern« – langweilig, aber Dauerbrenner. Einzig zu vermeiden seien wohl Halloween-Kostüme, das sei unpassend. Die besten vergesse man dafür nie. Die Frau zum Beispiel, die als Amor ging. Aber nicht nur Amor. Sie war eine komplette Amor AG. Sie hatte Visitenkarten und eine Website. »Die wird für immer in meinem Gedächtnis bleiben.«

verkleidung shoppen

Ich gehe als Bloggerin

Was mich am meisten erstaunt, ist, dass von oberster Position der Startschuss zum, in Ermangelung eines treffenderen Ausdrucks, Saufen gegeben wird. Mich beeindruckt, dass Menschen wie Andrea Nahles oder Annegret Kramp-Karrenbauer sich auf solche Späße einlassen. Für mich war das immer unverständlich, peinlich und ihrem tatsächlichen politischen Amt nicht gerecht. Heute verstehe ich es wenigstens ansatzweise. Und was soll ich sagen: ich finde es sogar sympathisch. Auch wenn ich selbst nicht mehr größte Freundin des besinnungslosen Trinkens bin, finde ich den eigentlichen Karnevals-Sinn schön: sich gegen Staat und Politik zu stellen. Sich gesondert und geschlossen über die Obrigkeiten lustig machen. Und das von oberster Stelle geduldet und mehr noch, gewollt. Vielleicht wäre das etwas, das Berliner*innen mal ganz gut tun würde. Dampf ablassen, Frust abbauen.

Für mich heißt es erstmal: Kostüm überlegen. Dass ich jetzt so sanft an das Thema rangeführt wurde, trägt wahrscheinlich dazu bei, dass es mich nicht überrollt. Ich bin froh, nicht fünf Tage lang gefeiert zu haben. Was heißt Feiern. Richtig viel trinken und richtig viel in der Kälte sein. Ich bin froh, dass ich nicht eine der alljährlichen Grippen miterlebe, auf die sich Laura eigentlich immer nach dem Aschermittwoch einstellt. Doch eins halte ich den Leuten immer noch hoch: wer nicht, der nicht. Man wolle das ja auch niemandem aufzwingen. Aber ich will. Vielleicht gehe ich ja als Bloggerin.

2 Kommentare

  1. Laura Correy Laura Correy

    Was ein Artikel. LIEB ICH!

  2. Martin Langer Martin Langer

    Sehr netter Artikel :o)

    Nach dem Einfühlen in die Gedankenwelt von Querdenkern ist eine Berlinerin die sich in einen Karnevalisten reinversetzt die logische Steigerung 😀

    Wenn alle Spaß haben, es friedlich bleibt und jeder seine (alkoholischen) Grenzen kennt, immer wieder eine schöne Zeit!

    Wattsche Helau! :o)

    P.S.: Natürlich hat Karneval auch viele komische Traditionen… google mal „höntroper Gänsereiter“

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